Vorstellung trifft Realität

In meiner instagramgefärbten Vorstellung sehe ich mich, wie viele Eltern die sich dort präsentieren, neben dem Homeoffice mit meinen Kindern den ganzen Tag idyllisch basteln. Wir haben so viel Zeit und Spaß, dass wir wunderschöne Kunstwerke kreieren, mit denen wir unsere frisch geputzten Fenster dekorieren. In der Wohnung herrscht ein Duft von österlichen Backkreationen und alles blitzt und blinkt, denn wir sind ja schließlich den ganzen Tag zu Hause. Neben Ausmisten und Wohnung umstylen haben wir bereits tonnenweise Eier gefärbt, mit natürlichen Zutaten, das versteht sich von selbst und alles ist nett dekoriert.

In der Realität dauert es bis halb zehn, bis ich die Kinder zum Zähneputzen gezwungen und die Küche aufgeräumt habe. Mindestens ein Kind will nicht basteln oder unbedingt Fingerfarben malen, was ich aber nicht will. Mir fällt siedend heiß ein, dass Ostern schon in einer Woche ist und ich nicht mal die Osterbücher hochgeholt habe (die ich zur Wahrung meiner geistigen Gesundheit über Winter in den Keller verbanne). Ich hole die Kiste und während ich die Begeisterung für fünf freie Minuten auf dem Örtchen nutzen möchte, stehen zwei schreiende Streithähne vor mir (natürlich ist die Tür offen) und kloppen sich um ein Baby-Osterbuch.

Am Basteltisch angekommen ist die Große mit meinen Vorschlägen nicht einverstanden und die Kleine will was anderes machen, also male ich abwechselnd ein Ei auf und lege dann ein Puzzleteil. Ich überlege dabei, woher ich noch Bioeier zum Färben bekomme und ob die Farbe von letztem Jahr wohl eingetrocknet ist und wo sie überhaupt ist…Die Kleine ist nun fertig, die Große will neues Papier, die Kleine hat Hunger auf „Kinderlade“ und brüllt, weil ich nein sage, der Tisch ist voller Kleber und Malstiftspuren und Türen und Boden sind ebenso verklebt. Die Fenster wollte ich eigentlich schon geputzt haben, aber mir kam Corona dazwischen…nun kann man eigentlich nur noch das ganze Fenster komplett bekleben, um vom Dreck abzulenken.

Achso, kochen muss ich auch noch. Und Mails meiner Schüler checken und beantworten. Und Sport machen (soll man doch, für die Psyche). Und einkaufen. Putzen wäre mal wieder nötig (ebenso für die Psyche). Dem nächsten, der mir was von Entschleunigung oder Selbstfindung in dieser verrückten Zeit erzählen will, könnte ich möglicherweise meinen kalt gewordenen Kaffee überkippen wollen (was ich natürlich nur in meiner Vorstellung täte).

Es gibt nur noch eine Lösung: Durchdrehen oder Instagram deinstallieren.

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